FRAUEN IN FÜHRUNG

Kathrin Michel

Toughe Frauen in
unserer Organisation:
Kathrin Michel

Foto: Tobias Schult

Toughe Frauen in
unserer Organisation:
Kathrin Michel

Kathrin Michel ist seit über 30 Jahren bei der BASF in Schwarzheide tätig. Inzwischen arbeitet die gelernte Industriekauffrau als Teamleiterin und engagiert sich als Vertrauensfrau und Betriebsrätin für die IG BCE. Während ihrer langen Gewerkschaftszugehörigkeit war sie u. a. Vorsitzende des Landesbezirksfrauenausschusses Nordost und Mitglied im Landesbezirksvorstand und Bundesfrauenausschuss. Aktuell bekleidet Michel den Vorsitz des Bezirksfrauenausschusses Cottbus, ist Mitglied im Landesbezirksvorstand Nordost und in der Antragskommission des Landesbezirks und wurde in die Antragskommission für den Kongress gewählt. Darüber hinaus ist Kathrin Michel Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes Bautzen und kandidiert im Wahlkreis 156 Bautzen I für ein Bundestagsmandat.

Du bist voll berufstätig, dazu gewerkschaftlich und politisch aktiv – wo liegt gerade dein Lebensmittelpunkt?

Mein derzeitiger Lebensmittelpunkt befindet sich fast ausschließlich im Homeoffice, aber das geht ja vielen so. Natürlich liegt mein Hauptfokus auf meiner beruflichen Tätigkeit als Teamleiterin im Supply Chain Management. Im anderen Fokus steht der Wahlkampf zur Bundestagswahl. Außerdem beschäftigt mich die Antragsberatung für den Kongress.

Wie gelingt es dir bei all deinem Engagement, die Balance zu halten?

Das ist doch wieder eine typische Frage, die man einem Mann nicht stellen würde, oder?

Vermutlich nicht – Unconscious Bias lässt grüßen …

Genau. Und doch denkt man bei Frauen eher daran, dass es auch noch einen Privatmenschen gibt. Unconscious Bias ist ein Thema, mit dem ich auch sehr aktiv unterwegs bin. Wir sehen ja gerade wieder: Auch wir Frauen tragen die Rollenbilder, die wir anerzogen bekommen haben, in uns.

„Traut euch, egal, was die anderen sagen. Machen. Probieren. Neue Diskussionskulturen schaffen. Wenn du deine Sache mit Herzblut verfolgst, strahlt das aus und zieht andere an.“

Spielt die Frage nach der Balance für Frauen vielleicht trotzdem eine größere Rolle, wenn sie über berufliche Weichenstellungen entscheiden?

Man muss darauf achten, ob das Pendel nur zu einer Seite ausschlägt, ganz klar. Manchmal frage ich mich auch, wie ich das alles schaffe (lacht). Was mich antreibt und trägt, ist ein unheimlich starker Wille zur Veränderung: Du willst, du musst etwas verändern, und dafür alles in die Waagschale werfen. Wenn ich mit Herzblut dabei bin, macht es ja auch Freude! Es gibt mir Kraft, anderen Frauen ein gutes Vorbild sein zu können, oder als Führungskraft Mitarbeiter*innen dabei zu begleiten, sich zu entwickeln. Aber zusätzliches Engagement steht und fällt mit dem Partner, wenn du Kinder hast. Der Partner muss dich unterstützen, und mein Mann hat mir den Rücken immer frei gehalten.

Welche Stärken tragen dich in deinen verantwortungsvollen Positionen?

Meine Geheimwaffe ist Yoga, das ist das Erste, was ich nach dem Aufstehen mache, und Meditation. Man darf sich selbst nicht vergessen. Wenn man mit sich selbst unzufrieden ist oder sich selbst nicht gut behandelt, ist man ein schlechter Ratgeber und eine schlechte Kämpferin. Wie will man dann etwas für andere tun?

„Frauen müssen nicht immer nett gucken.“

Eine große Stärke sind mein Lernwille und eine Art Grundneugier: Ich interessiere mich für neue Themen, für Menschen, für Zusammenhänge. Meine Großmutter sagte: Du kannst von jedem etwas lernen. Respekt und Wertschätzung anderen und jedweder Arbeitsleistung gegenüber prägen mich. Dazu kommt das tiefe Bedürfnis, mich für Menschen einzusetzen, Kräfte zu bündeln, um Ziele gemeinsam zu erreichen. Und ich liebe das Schöpfen und Entwickeln des Potenzials von Menschen in jedem Lebensalter, besonders die Unterstützung von Frauen.

Hast du Konkurrenz eher zu Männern oder auch zu Frauen auf bestimmten Ebenen erlebt? Oder sind Frauen eher Verbündete?

Frauen sind nicht immer nur Verbündete (lacht). Ein Beispiel: Im Einstellungsprozess wählen Frauen eher nach der besseren Leistung aus, und wenn der Mann einen Ticken besser ist, entscheiden sie für ihn. Männer entscheiden sich oft für den Mann, auch weil er ein Mann ist.

Persönlich habe ich beides erfahren. Einmal wurde einem Kollegen der Vorzug gegeben, weil ich zu der Zeit ein kleines Kind hatte und mir die Aufgabe deswegen nicht zugetraut wurde. Ein anderes Mal wurde eine ältere, erfahrenere Kollegin in den Vorsitz eines Gremiums gewählt und mir durch die Blume zu verstehen gegeben: Geh du noch mal ein paar Jahre auf die Weide.

„Sucht euch für eure Vorhaben Verbündete, Frauen und Männer!“

Eines deiner Hauptthemen im Wahlkampf ist die Gleichstellung Mann – Frau?

Wir müssen unbedingt verhindern, dass nicht wie gerade in der Pandemie alle in tradierte Rollenmuster zurückfallen, was Partnerschaftlichkeit und Care-Arbeit angeht. Dabei geht es nicht nur um Betreuungsplätze. Beispielsweise sind bei uns im Landkreis Bautzen lange Wege zu Kita, Schule, Sportverein usw. zurückzulegen. Das macht dann das Müttertaxi, weil du den ÖPNV hier vergessen kannst. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem sich Frauen bzw. Familien frei entfalten können. Die Zunahme häuslicher Gewalt während der Pandemie besorgt mich, die fehlende Entgeltgleichheit und zu viele Berufe, in denen Frauen per se zu wenig verdienen, ärgern mich maßlos.

Letztendlich war meine Motivation für die Kandidatur, an den Entwürfen mitzuarbeiten, statt immer zu versuchen, aus den fertigen Gesetzen das Beste zu machen, wenn es quasi schon zu spät ist. Außerdem sind die aktuell etwa 30 Prozent Frauen im Bundestag zu wenig. Unsere Gesellschaft besteht zur Hälfte aus Männern und Frauen, das müssen wir auch im Bundestag abbilden. Wenn Frauen nicht umfassend an der Gesetzgebung im Bundestag beteiligt sind, dann fehlt die weibliche Sicht auf alle Themen und das ist so wichtig, weil die Männer nicht dran denken.

Was möchtest du anderen Frauen mit auf den Weg geben?

Ich möchte jede Frau ermutigen, sich einzubringen. Egal ob langfristig oder temporär, auch das Hineinschnuppern und Ausprobieren ist erwünscht und wichtig. Wenn wir uns zusammentun, können wir in männerdominierten Bereichen die Strukturen bzw. die Rahmenbedingungen ändern. Je mehr Frauen sich einbringen, desto mehr können wir Unternehmen, Gewerkschaften, Parteien so verändern, dass sich Frauen dort wohlfühlen. Frauen „menscheln“ mehr rum als Männer und denken auch an den Geburtstag des Kollegen? Ja, und sie haben knallharte Gedanken im Kopf und wissen, was sie verfolgen wollen.

Verena Maretzki