Kinder und
Teilzeit kann
MANN auch
Über Partnerschaftlichkeit in Arbeits- und Privatleben
Die Jahrtausendwende brachte auch ins Familienleben von Ingo Möller eine Wende: Der Laborant und Betriebsrat bei Bayer freute sich mit seiner Frau über die Geburt des ersten Kindes. Da seine Frau eine Führungsposition bei ihrem damaligen Arbeitgeber in Aussicht hatte und Bayer flexible Modelle anbot, war für Möller nach der aufgeteilten Elternzeit klar: „Dann reduziere ich meine Arbeitszeit und kümmere mich ums Kind.“
Er sei schon immer ein Familienmensch gewesen, daher sei ihm die Entscheidung leichtgefallen. „Ich hatte weder die Angst, beruflich etwas zu verpassen oder als Vater in Teilzeit das Gesicht zu verlieren, noch Angst davor, was mich zuhause erwartet.“ Natürlich sei alles neu gewesen, und natürlich musste die Familie zeitweise mit weniger Geld auskommen; doch er habe etwas sehr Wertvolles bekommen, so Möller: „Für die Beziehung zwischen meinen Kindern und mir war es unschätzbar wichtig, dass ich von Anfang an so präsent und zugewandt sein konnte.“ Die Tätigkeiten im Haushalt möglichst gleichwertig aufzuteilen war selbstverständlich.
„Familie ist ein Wert, der geschützt werden muss.“
Seit längerem berät Ingo Möller in seiner Funktion als Betriebsrat Eltern, die Kinder haben oder ihr erstes Kind bekommen. In den Elterngruppen, die er und seine Kolleginnen betreuen, kommen alle zusammen – Beschäftigte und Führungskräfte. Bei allen geht es zunächst darum, wie Elternzeit und Elterngeld gut genutzt und kombiniert werden können. Dabei ermutigt Möller die werdenden Väter und Mütter zur partnerschaftlichen Aufteilung der Elternzeit: „Anstatt dass die Frau nach dem Mutterschutz noch zehn Monate beim Kind bleibt, der Vater aber nur zwei, erzähle ich regelmäßig, dass Mama/Papa ihre Elterngeldmonate im Verhältnis 8/4 aufteilen könnten, wenn das Kind vielleicht mit acht oder neun Monaten abgestillt ist. Auf solche Gedanken muss man die Leute erst einmal bringen, oft haben sie die üblichen Muster der Aufteilung von Elternzeit im Kopf.“
Rollentausch im Vergleich zum Klischee
Möller bekam viele positive Resonanzen zu seiner Entscheidung: „Ich habe erzählt, dass meine Frau eine Führungsposition hat und ich die Zeit mit den Kindern sehr genieße, daher diese Aufteilung.“ Manche männlichen Kollegen hatten aber auch durchblicken lassen: Soviel Zeit mit den Kindern, das könnten sie nicht, sie bräuchten die Zeit im Betrieb und ihre Karriererolle, um sich auszutoben. „Karriere im Sinne von ‚ich-muss-etwas-beweisen‘ ist mir nicht wichtig. Für mich hat meine Familie Priorität, denn Familie ist das, was bleibt im Leben.“
Zur Person
Ingo Möller ist zweifacher Vater, seit 1999 nach vorheriger Ausbildung als Laborant bei zunächst Schering bzw. dann Bayer in Berlin tätig und seit 2002 im Betriebsrat für die IG BCE. Seine Schwerpunkte in der Betriebsratsarbeit sind die Ausschüsse Arbeitszeit/Entgelt und Chancengleichheit. Er berät Kolleginnen und Kollegen in Fragen der Vereinbarkeit von Familienleben und Erwerbsarbeit und setzt sich für lebensphasenorientierte Arbeitszeit ein.
Rollentausch im Vergleich zum Klischee
Er selbst musste als junger Vater das eine oder andere erklären: Warum er nicht gern für Seminare und Termine über Nacht wegbliebe, wie er bei einer 30-Stunden-Woche Berufstätigkeit, Betriebsratsarbeit und Arbeit in der Tarifkommission unter einen Hut bekäme. „Es klappte, dank der Abstimmung mit meinem Chef, sehr gut. Wenn in einer Woche mehr Betriebsratsarbeit anfällt, lege ich den Fokus in der nächsten Woche mehr aufs Labor.“ Seine Arbeit ließ sich inhaltlich so gestalten, dass er unabhängig von den Tätigkeiten der Kolleginnen und Kollegen arbeiten kann.
Botschafter für das Thema Partnerschaftlichkeit
Die größte Herausforderung waren Dienstreisen und mehrtägige Seminare, erinnert sich der Betriebsrat: „Wenn es ging, blieb ich zuhause. Meine Frau und ich haben uns in der Hinsicht immer gut abgestimmt.“ Kritisch seien für ihn die Fahrwege zum Abholen der Kinder aus der Kita gewesen, wenn die Bahn ausfiel, und besonders die Phasen der Kinderkrankheiten: „Da habe ich meine Haare verloren“, scherzt Möller.
Partnerschaftlichkeit zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Gestaltung einer Partnerschaftlichkeit im Privatleben.
Lebensphasenorientierte Arbeitszeit
Ein betriebliches „Baby“ von Möller war und ist deshalb auch die Einführung von Arbeitszeitmodellen, die sich an den Lebenswirklichkeiten der Belegschaft orientieren, wie die Bayer-Familienzeit. Dennoch sei auch mit solchen Regelungen der oder die direkte Vorgesetzte ausschlaggebend, räumt er ein: „Wenn ich einen verständnisvollen Chef oder eine verständnisvolle Chefin habe, am besten mit eigenen Kindern, dann habe ich eine ganz andere Gesprächsbasis und stoße auf Verständnis für meine Situation.“
Ganz wichtig für Möller: Frauen die Angst zu nehmen, dass sie Karrieremöglichkeiten verpassen, wenn sie nicht gleich nach drei oder vier Monaten zurückkommen. „Ich rate den Kolleginnen, sich das gut zu überlegen. Zum einen gibt einem diese Zeit niemand mehr zurück, zum anderen gehen sie am Stock, wenn sie so früh wieder voll einsteigen. Und bei uns muss man sich diese Sorgen um die berufliche Laufbahn in der Regel nicht machen.“
Wenn der Mitarbeiter etwas vom Unternehmen bekommt, ist er auch bereit, etwas zurückzugeben
„Eines der stärksten Mittel zur Motivationsförderung ist, den Mitarbeiter*innen eine gewisse Zeithoheit einzuräumen und beispielsweise durch großzügige Freistellungsregelungen das Familienleben zu honorieren und wertzuschätzen.“ Sind die Dinge geregelt, ist auch der Kopf frei und die Mitarbeiter sind leistungsfähiger, anstatt sich Sorgen wegen familiärer Themen wie Betreuung oder Pflege zu machen.
Nicht zuletzt sei es auch eine Form der Nachwuchsförderung, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich im Unternehmen wohlfühlten und mit ihrem Arbeitgeber identifizierten: Dann bewerben sich die Kinder im Unternehmen, um in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten.
Infokasten: Bayer-Familienzeit
Unter Nutzung des Tarifvertrags Demografie wurde eine „Familienzeit“ ausgehandelt. Die Mitarbeiter*innen können im Rahmen ihrer Elternzeit-Ansprüche ihre Arbeitszeit reduzieren und bekommen eine zeitliche Förderung von 20 Prozent. Das bedeutet bei 80%-Teilzeit bzw. eine 30-Stunden-Woche, sie arbeiten im Durchschnitt nur noch 24 Stunden und bekommen sechs Stunden „geschenkt“.
Zudem gibt es bei Bayer grundsätzlich eine Vielfalt an Teilzeitmodellen, deren Nutzung immer mehr Anhänger*innen findet.