PARTNERSCHAFTLICHKEIT

Homeoffice mit Kindern

Mit dem Kopf
unterm Arm

Wer heult heute zuerst? Der Wahnsinn daHOME mit OFFICE und SCHOOLING

Montag, 6.30 Uhr. Der Wecker lärmt. Kind 2 hat heute um 8.05 Uhr eine Videokonferenz. Als Freiberuflerin und Selbständige könnten wir Eltern eigentlich auch später aufstehen, da sich unsere Arbeitszeiten häufig in den Abend hinein verlagern. Doch wir stehen selbst im Homeoffice mitten in der Nacht auf, weil manche Lehrer*innen auch im Homeschooling Unterricht nach Plan machen.

Das Endgerät läuft, das Kind geht online. Die Lernplattform ist nicht erreichbar. Das Ladezeichen dreht Runde um Runde, die trommelnden Fingerspitzen haben bald Dellen in die Tischplatte gehämmert. Liegt es an unserem WLAN? Oder an den kinderlosen Nachbarn, die in Kurzarbeit daheim sind und ein Netflix-Abo haben. Und Zeit, um Keller- und Dachboden aufzuräumen.

Oder ist Kind 1 auch schon online gegangen, auf der Suche nach Hausaufgaben im Medienwald? Pirschgänge auf der einen oder anderen Lernplattform, zwischen Wochenplan-PDFs, Arbeitsblättern zum Ausdrucken, Aufgaben in Lehrbuch und Arbeitsheft, wohlmeinend ergänzt durch YouTube-Videos – manche liebevoll selbst gedreht von den Lehrkräften – oder Learning-Apps und weitere mediale Inhalte. Das macht den Aufgabenteller bunt, abwechslungsreich und reichlich unübersichtlich. Muss etwas ausgedruckt werden? Die Lehrerin schreibt inzwischen per E-Mail, sie habe auf einer anderen Plattform einen neuen Konferenzraum eingerichtet, weil der erste ja nicht funktionierte.

Endlich sind die Anlaufschwierigkeiten überwunden, und ich sitze an meinem eigenen Arbeitsplatz, lese nun meine Mails und checke meine Aufgaben. Ich mache mir Hoffnungen, dass es läuft und abgesehen von einigen Kontrollgängen in die Kinderzimmer – nun quasi Kolleg*innen-Büros – ich mich meiner Arbeit widmen kann. Denkste, da geht schon die Tür auf: „Mama, ich versteh das nicht…. .“

Zur Person

Foto: Roland Schmidt (Hannover)

Verena Maretzki

Sprache ist mein Element: Schreiben und erzählen.

Verena Maretzki ist freiberufliche Journalistin, Sozialpädagogin und Geschichten-Erzählerin. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Hannover und schreibt zu den Themen Soziales, Gleichstellung und Familie u.a. für die „IMPULS“. Daneben gestaltet sie Erzählprogramme, -projekte und -Workshops für Kinder und Erwachsene und ist Kursleiterin an der VHS Hannover.

Nachdem das geklärt ist, ein kurzer Blick ins andere Kinder-Büro: Da wird schnell der Bildschirm gewechselt – TikTok statt Workbook, aha. So segensreich das Online-Arbeiten sein mag, irgendwie schaffen es die Kids immer, ihre Spiele und Lieblings-Apps ins Aufgaben-Portfolio hinein zu mogeln.

Ich beginne endlich mit meinem Text. Das Telefon klingelt. Eine Nachbarin, die mal hören will, wie es so geht. Kurzangebunden vertröste ich sie auf eine andere Gelegenheit. Ich schreibe weiter. Das Telefon klingelt erneut. Ein Blick aufs Display – die Oma der Kinder. Ich werde später zurückrufen. Wenn die anderen wissen, dass man im Homeoffice arbeitet, rufen sie leider auch während der „Bürozeit“ an. Wieder reindenken in den Textabschnitt. Es klopft. „Mama?“ Dann Getrampel auf dem Flur, ein Gerangel, Kampfgeräusche. „Ich war zuerst hier!“ „Nein ich, ich darf zuerst fragen!“ Ich reiße die Tür auf, die Kinder knäulen sich am Boden. Aus dem Zimmer gegenüber dröhnt die Stimme des Mannes, der in ein virtuelles Kundengespräch vertieft ist. Mist, mein Job hier. Ausgerechnet jetzt klingelt mein berufliches Telefon. Statt abzuheben stürze ich mich auf die Kinder. Ich entknäule und schlichte. Ausgerissene Haare, Kratzspuren im Gesicht, die Brüder sind einfach nicht ausgelastet: kein Schulweg, kein Sport, kein Bock auf Bewegung außer von der Playstation zur Chipstüte. Nun ereilt mich ein Potpourri aus Englisch, Geschichte, Spanisch, Physik – sogar die Musiklehrerin meint es gut und versorgt die Kinder mit Aufgaben. So kommen sie immerhin an ein wenig Kultur, bei all den geschlossenen Theatern und Museen ... tja, und an jede Menge Arbeitskultur. Wir gewöhnen den Nachwuchs gleich an das, was ihn im späteren Berufsleben erwartet: Pflichterfüllung mit schwammiger Aufgabenstellung, unzureichenden technischen Mitteln und schlechten Berater*innen. Also alles klar für das mittlere Management – Sandwich-Problematik dank Eltern-Lehrkraft-Spannungen inklusive.