Vieles verändert sich in dieser Zeit: Getrieben durch technologische Entwicklungen, einer global vernetzen Wirtschaft, durch einen sozial-ökologischen Umbau und nicht zuletzt durch eine folgenschwere Pandemie stehen wir vor großen Umbrüchen in unserer Arbeitswelt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften haben den Anspruch, den Wandel so mitzugestalten, dass er zu mehr Wohlstand und Gerechtigkeit führt – für alle Menschen in Deutschland und Europa. Es gilt, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Bedürfnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Blick zu nehmen und auf die Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern auszurichten – denn es geht um die Verteilung von Zeit, Geld und Macht.
Deswegen stellt die 20. Bundesfrauenkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes den Wandel der Arbeitswelt mit seinen gesellschaftlichen und sozialen Folgen in den Mittelpunkt ihrer inhaltlichen Debatten. Wir wollen auf allen Handlungsfeldern die Geschlechterperspektive aufzeigen und den Wandel konsequent für die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern nutzen.
Unser Anspruch im digitalen Wandel
Der Einsatz jeder neuen Technologie muss Anlass sein, Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln. Dabei geht es darum, ein Roll-Back zu verhindern und gleichzeitig die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutreiben.
Nehmen wir als Beispiel die beruflichen Entwicklungschancen von Frauen und Männern. Home-Office, also ortsflexibles Arbeiten birgt das Risiko, dass die Arbeit von zuhause aus „unsichtbar“ wird. In einer Arbeitswelt, in der noch immer eine starke Präsenzkultur vorherrscht, könnte das Arbeiten außerhalb des Betriebes Nachteile für die berufliche Entwicklung von Frauen mit sich bringen. Gleichzeitig bieten digitale Arbeitsformen für Frauen mit Familienverantwortung bessere Chancen, an digitalen Weiterbildungsangeboten teilzunehmen als an einer Präsenzform. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der Nutzung von Weiterbildungsangeboten lassen sich aber nicht allein durch den digitalen Wandel lösen. Um von veralteten Unternehmenskulturen wegzukommen und auch weiblichen Arbeitskräften bessere berufliche (Aufstiegs-)Chancen zu eröffnen, brauchen wir einen kulturellen Wandel. Nach wie vor gilt: Gleichstellung ist kein Selbstläufer!
Um Frauen in den sich stark wandelnden Bereichen, wie der Verwaltung oder in Fachkraftberufen mit einem mittlerem Qualifikationsniveau, Beschäftigungsperspektiven zu sichern, müssen Weiterbildungsprogramme im Sinne der Frauen gestaltet werden. Mehr noch: Wir müssen den Anspruch erheben, dass Frauen durch geschlechtergerechte (digitale) Weiterbildungsoffensiven Chancen auf neue Tätigkeiten und Berufe erhalten, die im besten Falle mit besseren Einkommen einhergehen. Dann wäre der digitale Wandel ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern und zu einer besseren Zukunft für Frauen.
Eine digitale Arbeitswelt, in der Frauen genauso viel Gestaltungsmacht haben wie Männer – an der Spitze der Technologieunternehmen und durch die gezielte Förderung durch Weiterbildung.
Durchschnittlich pro non-formaler Bildungsaktivität investierte Stunden nach Segment der Weiterbildung und Geschlecht.
49%
... der Tätigkeiten von Frauen in Helfer- und Anlernberufen sowie in Fachkraftberufen verändern sich durch den digitalen Wandel und drohen wegzufallen.
Quelle: Dengler und Matthes (2018): Substituierbarkeitspotenziale von Berufen – Wenige Berufsbilder halten mit der Digitalisierung Schritt, IAB Kurzbericht 4/2018.
Unser Anspruch in der Globalisierung
In globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten sind Frauen und Mädchen oft benachteiligt und größeren Risiken ausgesetzt als Männer. Sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz, Arbeitsbedingungen, die keine Rücksicht auf die Sorgearbeit von Frauen nehmen und ungleiche Bezahlung sind nur einige der Benachteiligungen, die Frauen überall auf der Welt erfahren.
Ein wirksames, geschlechtergerechtes Lieferkettengesetz beispielsweise, wie es der DGB gemeinsam mit anderen Verbänden und Organisationen fordert, trägt dazu bei, dass Unternehmen Menschenrechte achten, Umweltzerstörung vermeiden – und die Gleichstellung von Frauen und Männern in den Blick nehmen. Freiwillig kommen Unternehmen ihrer Verantwortung meist nicht ausreichend nach. Umso dringender brauchen wir jetzt das Lieferkettengesetz! Es darf keine Diskriminierungen, auch nicht solche aufgrund des Geschlechts, tolerieren und verstärken, sondern muss die Unternehmen zu einer gendergerechten Umsetzung verpflichten. Das wäre ein wichtiger Schritt hin zu einem globalen Abbau von struktureller Benachteiligung von Frauen.
Eine globale Feminisierung der Arbeitswelt, die eine diskriminierende Hinterhof- und Straßenrandökonomie hinter sich lässt und eine neue schafft – mit Tarif- und Mindestlöhnen, sozialer Absicherung und fairen und sicheren Arbeitsbedingungen.
Ländervergleich: Welche Lieferkettengesetze gibt es schon?
Fertigtextilien sind das wichtigste Exportgut von Bangladesch. In mehr als 4000 Kleiderfabriken arbeiten fast zwei Millionen Menschen, 85 Prozent davon sind Frauen. Maximal erlaubt sind 60 Arbeitsstunden pro Woche, jedoch sind 80 bis 90 Stunden keine Seltenheit.
Unser Anspruch im ökologischen Wandel
Für uns ist klar: In der sozial-ökologischen Transformation stehen die Beschäftigten im Zentrum, die sowohl Gestalterinnen und Gestalter der nachhaltigen Entwicklung als auch direkt Betroffene von Transformationsprozessen sind. Sie gilt es mitzunehmen, abzusichern und in die Gestaltung des Wandels einzubeziehen. Aber Beschäftigte sind nicht gleich Beschäftigte! Unser Anspruch ist, die unterschiedliche Arbeits- und Lebenssituation von Frauen und Männern in den Blick zu nehmen: Frauen arbeiten meist in anderen Berufen und Branchen als Männer, sie haben unterschiedliche Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten. Frauen konsumieren anders und sind oft umweltbewusster eingestellt als Männer.
Bislang gibt es nur geringe Erkenntnisse darüber, ob und wie sich beispielsweise die Dekarbonisierung auf weibliche Beschäftigte auswirkt. Hier gilt es erstmal Wissenslücken zu schließen. In anderen Bereichen wie der Verkehrsnutzung ist unlängst bekannt, dass Frauen emissionsärmer unterwegs sind: Sie gehen vor allem zu Fuß, fahren mit dem Rad oder nutzen Busse und Bahnen. Und doch orientiert sich die Verkehrspolitik am Mobilitätsverhalten von Männern, die überwiegend auf das Auto zurückgreifen. Dadurch werden Frauen benachteiligt und das Klima geschädigt. Wir brauchen eine geschlechtergerechte Klimapolitik!
Eine Welt, in der im sozialen Dialog mit Beschäftigten und Unternehmen unsere Arbeit und unser Leben durch Investitionen so modernisiert werden, dass Frauen und Männer gleichermaßen davon profitieren und eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung für die notwendigen Veränderungen herrscht.
Der Frauenanteil bei grünen Unternehmensgründungen ist deutlich
gewachsen und liegt bei 22 % gegenüber 13 % bei nicht-grünen Gründungen.
Unser Anspruch in der Corona-Krise
Die Corona-Krise hat uns fest im Griff. Und sie trifft Frauen besonders hart: Sie arbeiten in systemrelevanten und zugleich unterbezahlten Berufen. Sie sind mit Einkommenseinbußen konfrontiert durch Freistellung, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. Und sie übernehmen den überwiegenden Teil der Haus- und Familienarbeit und reduzieren dafür ihre Arbeitszeit. Auf ihren Schultern lasten hohe Gesundheitsrisiken, wachsender finanzieller Druck, zusätzlicher Betreuungsaufwand und vermehrte Arbeit im Haushalt. Durch die Krise verschärft sich die ungerechte Verteilung von Chancen und Risiken zwischen Frauen und Männern. Wir laufen Gefahr, auf eine Re-Traditionalisierung zuzusteuern: Infolge der krisenbedingten Erwerbs- und Betreuungssituation wird der überwiegende Teil der anfallenden Sorgearbeit von Frauen übernommen. Nicht selten reduzieren sie deswegen ihre Arbeitszeit. Um zu verhindern, dass die Pandemie alten Rollenbildern Vorschub leistet, brauchen insbesondere Beschäftigte mit Familienpflichten neben einer krisenfesten Infrastruktur für Kinder und Pflegebedürftige im Übergang und nach der Krise Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort, die es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglichen, sich die (zusätzlichen) Betreuungsanforderungen gemeinsam fair zu teilen.
Damit die Interessen von Frauen in das Krisenmanagement der Politik mit eingebunden werden, muss daher immer auch die geschlechtergerechte Zukunft auf der Agenda stehen. Mit Gleichstellungschecks für Konjunkturprogramme und Investitionen ist das möglich!
Eine Post-Corona-Welt in der professionelle und private Sorgearbeit anerkannt und aufgewertet wird, in der Arbeitszeiten zum Leben passen, in der prekäre Beschäftigung der Vergangenheit angehören und in der das Vertrauen in die Demokratie und staatliche Institutionen gewachsen ist.
Arbeitszeitreduktion nach Geschlecht der/des Befragten
Vor allem Frauen reduzieren für die zusätzlich anfallende Sorge- und Hausarbeit ihre Arbeitszeit: Das gilt für gut ein Viertel aller befragten Frauen mit Kindern bis zu 14 Jahren, aber nur für ein Sechstel der befragten Männer.
Quelle: Kohlrausch, Zucco (2020): Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt. Weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit, WSI Policy Brief 40. https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_pb_40_2020.pdf
74 % der Beschäftigten im Pflegebereich geben an, unter Zeitdruck zu arbeiten.